dieser offene Brief wurde am 01.07.25 von unserem Sprcher Martin Busch an Frank Henning geschickt
Offener Brief an Herrn Frank Henning
(Baupolitischer Sprecher im Niedersächsischem Landtag, SPD)
Lieber Frank,
ich wähle das nicht formelle „du“, weil du es seinerzeit in Nahne angeboten hast, aber nicht ohne meinen Respekt zu bekunden.
Zunächst möchte ich mich herzlich bei dir bedanken. Es ist deutlich zu erkennen, dass du dich mit großer Hingabe für uns einsetzt – in Osnabrück ebenso wie nun in Hannover. Dein Engagement, deine Haltung und dein Einsatz für den sozialen Zusammenhalt überzeugen mich. Vielen Dank auch dafür, dass du dich unserer Demonstration gestellt und uns ein wenig ins Bild gesetzt hast. Du stehst sichtbar auf unserer Seite, und ich glaube dir, dass dein Herz am rechten Fleck sitzt. Für mich persönlich bist du integer – meine Stimme hast du.
Ich kann dir versichern: Als jemand, der seit Jahrzehnten mit seinem „Sozi-Herz“ politisch interessiert ist, habe ich mir viele Politiker:innen angeschaut. Leider haben nur wenige das Prädikat „integer“ aus meiner Sicht verdient – du gehörst dazu, und das freut mich aufrichtig.
Doch nun zum Thema, das uns bewegt.
Es ist die Politik, die durch gesetzliche Rahmenbedingungen – wie Bodenrichtwerte oder den Zinsrahmen im Erbbaurecht – die Voraussetzungen für heutige, in ihrer Höhe vollkommen utopische Erbbaurechtsverträge geschaffen hat.
Zum Glück stehen diesen Entwicklungen übergeordnete Gesetze gegenüber – allen voran unser Grundgesetz. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Befindet sich diese Form der Bodenspekulation überhaupt noch auf dem Boden unserer Verfassung?
Es sind die eigenen „dicken Bretter“, wie du selbst gerne sagst, die hier gebohrt werden müssen. Das macht es nicht leichter – aber auch nicht entbehrlich. Und darum nehmen wir dich weiter in die Pflicht.
Der Ausgangspunkt unserer Argumentation darf nicht eine halbierte, aber immer noch untragbare zukünftige Erhöhung sein. Die mag kurzfristig als „Erfolg“ erscheinen – bleibt aber weiterhin absurd. Wir müssen stattdessen auf die jahrzehntelange Realität blicken:
Erbbaurecht war immer ein Instrument für bezahlbares Wohnen.
Die regelmäßige Anpassung der Erbbauzinsen an die Inflation war im Vertrag angelegt und wurde auch umgesetzt. So wurde die Einnahmenseite der Eigentümer:innen durchgehend inflationsbereinigt gesichert – z. B. bei der Klosterkammer, die mit diesen Einnahmen offensichtlich ihren Stiftungszweck erfüllen konnte.
Eine darüberhinausgehende, massive Erhöhung ist keine Notwendigkeit – sondern führt zu Konstruktionen wie der LIEMAK, einer 100%-Tochter, bei der sich mir die Frage stellt, ob hier wirklich nur der Stiftungszweck verfolgt wird oder möglicherweise auch Vermögen verschleiert werden soll.
Den Stiftungszweck in Frage zu stellen, würde ein neues Fass aufmachen. Denn er mag vollkommen wünschenswert sein, warum er aber allein von den 5% Erbbaunehmenden getragen wird, statt von allen Bürgern Niedersachsens, ist mir schleierhaft.
Der Anfangspunkt unserer Argumentationskette muss der ursprüngliche Vertrag sein, mit dem viele Erbbaunehmende unter falschen Versprechen gelockt wurden.
Lass mich konkret werden: Mein eigener Vertrag nennt folgende Staffelungen:
1. 01.07.1954 bis 30.06.1974 — 4 %: 81,77 DM 0,09 €/m²
2. 01.07.1974 bis 30.06.1994 — 4,5 %: 91,99 DM 0,10 €/m²
3. 01.07.1994 bis 30.06.2014 — 5 %: 102,21 DM 0,11 €/m²
4. 01.07.2014 bis 30.06.2034 — 5 %: 112,43 DM 0,12 €/m²
Heute, inflationsbereinigt und angepasst, beträgt die Zahlung 474,28 €. Über den Daumen so 1 € pro Quadratmeter. Und eine weitere Anpassung steht bevor – denn rechtlich ist dies inzwischen einfacher denn je. Damit haben wir faktisch bereits eine Verzehnfachung. Bei einer zusätzlichen Verfünffachung wären wir beim Fünfzigfachen – das ist unzumutbar.
Alle strukturellen Hebel liegen auf Seiten der Grundbesitzer, wie im Mittelalter, als der Gutsherr nach Gutdünken herrschen konnte.
Die Erbbaunehmenden tragen die volle Last:
1. Sie zahlen Grundsteuer – für ein Grundstück, das ihnen nicht gehört.
2. Sie zahlen Grunderwerbsteuer – für etwas, das sie rechtlich nie erwerben.
3. Und sie zahlen diese Steuer erneut, wenn der Vertrag verlängert wird.
4. Sie finanzieren die Erschließungskosten, die den Wert des Bodens steigern – aber nicht ihren eigenen Besitz.
5. Sie tragen die Instandhaltungskosten für die gesamte bauliche Substanz – die den Boden allein wertvoll macht.
6. Sie zahlen indirekt für Infrastruktur, die sie durch Nutzung und Nachfrage selbst geschaffen haben.
Und noch mehr: Wir haben mit unseren Zahlungen der Klosterkammer die Mittel verschafft, mit denen sie sich heute nahezu unbegrenzte Lobbyarbeit gegen unsere Interessen leisten kann.
Was aber leistet der Eigentümer konkret im Gegenzug? ………………..
Und schlimmer noch: Wir haben keinen Anspruch darauf, die von uns geschaffenen Werte zu erwerben. Das führt zu einer künstlichen Verknappung – der Markt trocknet aus, die Bodenpreise steigen ins Unermessliche. Alle, auch wenn sie es sich kaum leisten könnten, hätten das Grundstück unter ihrem Haus längst gekauft, wenn sich eine Gelegenheit ergeben hätte.
Dieser Boden müsste uns gehören. Oder zumindest zu fairen, sozial orientierten Vorzugspreisen angeboten werden.
Das – entspricht meinem Rechtsempfinden.
Ich weiß: Es mag auf den ersten Blick überzeichnet wirken, vielleicht sogar unrealistisch und politisch schwer durchsetzbar. Aber die Gegenseite ist dazu befähigt, Preise um >1000% zu verlangen – das nenne ich überzeichnen.
Und doch – genau solche Lösungen hat es bereits gegeben. Nicht irgendwo, sondern hier bei uns, in meiner Nachbarschaft.
Wenn der Grundstückseigentümer z. B. ein empathischer Landwirt ist, der auch in Zukunft friedlich in seiner Gemeinde leben möchte, dann findet sich plötzlich ein Weg: Ein fairer Preis, ein Eigentumsübergang, gegenseitiger Respekt. Es geht also – wenn der Wille da ist. Wenn das Miteinander mehr zählt als die maximale Rendite.
Aber mit welchen Forderungen werden eigentlich wir konfrontiert?
· Mit der Vervielfachung der Erbbauzinsen
· Mit dem faktischen Ausschluss aus dem Wohnungsmarkt
Und über allem schwebt die eiskalte Bedrohung des sogenannten „Heimfalls“.
Schauen wir mal, was das Grundstück ohne mein Zuhause wert wäre:
· Forstwirtschaftlicher Ertrag:
o Fichte (Euro/m²/Jahr) im Jahr 1955: 0,05 €
o Fichte (Euro/m²/Jahr) im Jahr 2025: 0,15 € (also 3x)
· Agrarwirtschaftlicher Ertrag:
o Weizen (Euro/m²/Jahr) im Jahr 1955: 0,024 €
o Weizen (Euro/m²/Jahr) im Jahr 2025: 0,014 € (halbiert)
· Viehwirtschaftlicher Ertrag:
o Ei im Jahr 1953: 0,07 bis 0,10 €
o Ei im Jahr 2025: 0,30 bis 0,40 € (also 4x)
· Standard-Einfamilienhaus:
o im Jahr 1953: 100 €/m² = 17.000 €
o im Jahr 2025: 1.800 €/m² = ? (also 18x)
· Grundstück:
o im Jahr 1953: 0,22 €/m² = 1.045,10 € Gesamt (lt. Klosterkammer)
o im Jahr 2034: 11,35 €/m² = 109.187,00 € Gesamt (also 100x)
Das Haus ist also 18x teurer als 1953. Dort wurde aber immer wieder investiert: neue Fenster, neues Dach, neue Heizung, energetische Renovierung etc. Am Grundstück wurde nichts gemacht – und doch hat es sich auf das 100x heraus aus unseren Möglichkeiten spekuliert.
„Papa, das musst du verstehen: Wir können dein Haus nicht übernehmen – nicht geschenkt – nicht unter diesen Bedingungen.
Wir würden uns für 80 Jahre an einen Monopolisten binden und über eine Million Euro zahlen – allein für ein Grundstück, das uns nie gehören wird. Mit jeder Anpassungsklausel zahlen wir mehr, ohne dafür Sicherheit zu gewinnen.
Wir tragen Verantwortung – auch für unsere Kinder. Und diese Abhängigkeit können und wollen wir ihnen nicht hinterlassen.“
Es müssen Schutzrechte wie bei Mietern (Kündigungsschutz, Mietpreisbremse etc.) etabliert werden. Das Machtgefälle ist bei Erbbaurechtnehmenden zu den Gebenden doch wohl für alle erkennbar sehr kritisch zu betrachten.
Mit bestem Gruß und in großer Hoffnung,
dass du dich dieser Aufgabe weiterhin mit dem Herzen widmest –
und uns als Betroffene und Expert:innen auf dem Weg zu fairen Erbbaurechten mitnimmst.
Martin Busch
für die „Initiative für Erbbaurechtnehmende Osnabrück“